Dunkel ist es und kalt. Kein Sonnenstrahl dringt in mein Verlies. Ich stehe im Dreck, in meinem eigenen Kot und Urin und mir ist kalt. Der feuchte Schmutz bereitet mir Entzündungen an meinen Füssen. Meine Haut ist krank und juckt, kleine, lästige Tierchen haben sich in mich gebohrt. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier eingesperrt bin. Ich kann mich nicht mehr an mein früheres Leben erinnern, ich glaube, ich bin einmal mit ein paar Mädchen zusammen gewesen, damals war mein Leben noch besser. Wir haben uns gut verstanden, wir waren sogar ein bisschen verliebt…ich glaube, deswegen haben sie uns auch zusammengesperrt, damit wir Babies produzieren. Irgendwann haben sie meine Mädchen aus unserem Verlies getrieben, sie haben sich gewehrt und geweint, sie wollten bei mir bleiben. Aber sie hatten keine Chance, ich weiß nicht, was sie mit ihnen gemacht haben, aber ich glaube, sie haben sie ermordet. So wie sie so viele meiner Gefährten ermorden, täglich, stündlich.
Ich bin dann allein hiergeblieben und da ich keinen Nutzen mehr hatte, war ich wohl lästig und überflüssig geworden. Man räumte meine Exkremente nicht mehr weg, wozu auch. Auch Essen bekam ich nicht regelmäßig, Wasser stand nicht auf der Tagesordnung.
Sonne, Gras, Wind und Regen, wie fühlte sich das alles an? – ich konnte mich nicht mehr erinnern. Tag für Tag, Nacht für Nacht in dieser Einzelhaft, kein Strohhalm, kein Stückchen Holz, nichts, womit ich mich etwas ablenken hätte können. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum ich hier eingesperrt worden bin. Was wohl draußen ist – in der Welt – ob ich hier je wieder rauskomme.? Ehrlich gesagt, ich habe nicht mehr daran geglaubt.
Jahre sind vergangen, für mich Jahrhunderte. Ich war mir sicher, hier würde ich sterben und ich hoffte so sehr, dass es bald sein würde.
Eines Tages früh am Morgen kam jener Mensch zu mir, der mich hier eingesperrt hatte und der auch meine Frauen entführt hatte. Mir schnürte es die Kehle zu vor Angst – jetzt war ich dran. Aber konnte es noch schlimmer kommen?
Ich versteckte mich in den hintersten dunklen Winkel meines Verlieses, doch er drängte mich mit Tritten Richtung Tür. Was soll es, ich ging …er trieb mich durch den Hof, der voll mit Gerümpel war, ich wusste gar nicht recht, wohin ich gehen sollte, um mir nicht meine Beine zu brechen, aber das war eigentlich auch schon egal. Ich hoffte aus ganzem Herzen, dass mein elendes Leben endlich ein Ende fand.
Hinten im Hof stand ein komisches Ding auf Rädern, wieder eine Art Verlies, aber eben auf Rädern. Der Mensch trieb mich über eine Rampe hinein…ich gehorchte, nur weg aus diesem Leben, lieber in den Tod gehen. Da stand ich nun, verbessert hatte ich es mir nicht gerade, hier war es noch kleiner, aber immerhin hatte ich etwas zu essen bekommen, nicht viel, aber besser als nichts. Vielleicht war dies meine Henkersmahlzeit.
Die Stunden vergingen, ratlos was man wohl mit mir vorhatte, blickte ich auf das Stück Himmel, das ich sehen konnte. Es war grau und es schneite leicht. Nicht einmal die Sonne war bereit, sich in meinen letzten Stunden zu zeigen.
Langsam wurde mir kalt. Die Schneeflocken rieselten langsam vom Himmel, aber auch sie waren trostlos und langweilig. Dann hörte ich ein Geräusch…wieder ein Verlies auf Rädern, ein großes, weißes, rollte in die Einfahrt. Drei Menschen sprangen aus dem Auto, sie klangen freundlich. Ich lugte durch einen Spalt aus meinem Verlies…sie sahen recht nett aus und sprachen aufgeregt mit meinem Peiniger. In meinem Herzen keimte plötzlich Hoffnung, vielleicht war dies die Rettung? Aber nein, was sollten diese Leute mit mir machen, einem alten, nutzlosen Schwein. Mich konnte man ja nicht einmal mehr essen…Das Diskutieren draußen wurde heftiger, ganz schlau wurde ich nicht daraus. Das weiße Verlies fuhr nun ganz nahe an meines ran, heftiges Gepolter und Gehämmer…dann ging das Tor auf. Ich erwartete die Freiheit und wurde bitter enttäuscht, denn der einzige Weg führte in das andere Verlies, in dem man mit Brettern einen kleinen Raum für mich geschaffen hatte. Man lockte mich mit Äpfeln, jedoch die waren wirklich nicht der Grund, warum ich rausging, ich wollte einfach nur weg, egal wohin.
Die Klappe schloß sich, mein Peiniger verabschiedete sich unfreundlich von den Menschen. Den würde ich nicht vermissen, egal, was kommen würde.
Das Verlies auf Rädern setzte sich in Bewegung, angenehm war das nicht gerade da hinten. Ich versuchte die Balance zu halten und stieß überall an. Schließlich schaffte ich es, einigermaßen sicher auf den Beinen zu bleiben. Wir fuhren und fuhren, ich konnte nichts sehen. Einmal sind wir stehen geblieben und ich wurde unruhig und wütend, verdammt, lasst mich endlich raus, tötet mich, macht, was ihr wollt, aber ich mag nicht mehr, ich kann nicht mehr. Warum karrt ihr mich noch durch die Gegend? Ich randalierte, warf mich gegen die Wände in dem Verlies. Dann ging es weiter…ich beruhigte mich wieder. Vielleicht sollte ich doch auf die Hoffnung vertrauen, die in mir keimte?
Endlos erschien mir diese Fahrt. Endlos und unnütz. Wieder ging die Klappe auf. Ein großer Mann mit Bart und langen Haaren schaute zu mir rein. Er war ruhig und freundlich, lächelte mich an. Dann noch ein Mann, er begutachtete meine juckende Haut an und rammte mir eine Nadel in meinen Körper. Autsch, was war das wieder? Quält ihr mich weiter? Klappe zu, weiter ging es. Ein Geruckel und Gezuckel. Klappe auf. Eine Menge Leute lachten mich an, redeten mit mir, freundlich, ruhig. So etwas kannte ich gar nicht. Wieder Äpfel, mein Gott, ich aß sie, eigentlich aus purer Höflichkeit, vielleicht sollte ich es mir mit diesen Menschen nicht verscherzen. Mit komischen Plastikbrettern trieb man mich ins Freie, an Hühnern und Ziegen vorbei, die sahen aber alle sehr glücklich aus. Man lobte mich, feuerte mich an, braver Pauli, fein…geh schön weiter. Pauli, ach ja, das war ja ich, der Pauli. Sehr merkwürdig, was sollte das werden? Ich ging weiter und das schien das Richtige zu sein. Am Ende des Weges war ein Stall, warm, sauber, mit Stroh. Einige Ziegen und Hühner flüchteten aufgeregt, als ich reinging.
Hier war es wirklich fein, ich hatte überhaupt keine Angst mehr und sah mir alles an. Die netten Leute waren bei mir, streichelten mich, das fühlte sich gut an. Sie setzten sich zu mir, der mit dem Bart brachte eine große Kiste mit Obst und Gemüse. So etwas Leckeres hatte ich noch nie bekommen. Ich ließ mich nicht lange bitten und begann zu essen. Bananen nannten sie diese komischen Dinger…Karotten, Salat…ich aß und aß. Wasser war da. Ich war im Himmel, aber wann war ich eigentlich gestorben?
Die netten Leute verließen mich…der Bärtige kam immer wieder und auch andere freundliche Menschen. Endlich konnte ich essen, wieviel ich wollte. Ich sah die Sonne, ich roch den Schnee, ich schlief die Nächte durch im warmen Stroh. Und ich konnte mein Glück kaum fassen. Doch es kam noch besser. Einige Zeit später brachte man mich aus meinem Stall ins Freie. Die Sonne schickte schon erste, warme Frühlingsstrahlen durch die klare Winterluft und der Schnee schmückte sich mit blauen Schatten. Ich war draußen! Und hier waren Gefährten – andere Schweine, ich konnte es kaum glauben. Schnell freundete ich mich mit meinen Kollegen an und die erzählten mir aus ihrem Leben. Auch sie hatten es nicht leicht gehabt, wurden gequält, vernachlässigt…was zum Teufel haben wir Schweine den Menschen getan, dass sie uns so behandeln? Ich stehe nun in der Sonne, spüre die Wärme auf meinem Rücken, ja, ich bin nun dicker geworden und es steht mir, ein Schwein sollte nicht so mager sein, wie ich es gewesen bin. Auch wenn es nicht gegessen wird…das ist auch so ein Thema. Wissen die Menschen eigentlich, wie intelligent wir sind, wie sozial und sauber? Wie liebenswert? Und wie gerne wir leben? Ich glaube nicht. Aber ich möchte euch sagen, wir alle verdienen ein Leben in Würde und mit Achtung. Wir möchten die Sonne auf unserer Haut fühlen, im Gras liegen, wir lieben Schlammbäder, wir lieben unsere Gefährten, wir lieben gutes Essen und frisches Wasser. Wir können schnell laufen und wir können sogar springen, wisst ihr das alles? Ich habe ein hartes Leben hinter mir und ich bin ins Glück gegangen, dank einiger Menschen, die mein Leben als wertvoll ansehen. Für die ein altes, nutzloses Schwein ein Tier ist genauso wie ein Hund oder eine Katze. Die mich gerettet haben und mich beschützen, die mir ein Leben ermöglichen, wie wir alle es verdienen. Die Welt hat sich für mich geändert, ich lebe, ich atme, ich bin glücklich. Ich bin Pauli – das Glücksschwein.
Marion Löcker