Grönlandreisebericht 2019: Wenn mehr als das Herz bricht…

Tag 1, 13.September

Abflug von Wien nach Keflavik über Deutschland. Wenn ich nach Ostgrönland fliege, muss ich immer in Island/Reykjavik übernachten, was leider nicht billig ist. Ein winziges Zimmer in einem Guesthouse mit Gemeinschaftsbad kostet, je nach Saison zwischen 80 und 150 Euro…

Von Island kenne ich nichts außer die Strecke Keflavik, hier ist der internationale Flughafen – Reykjavik, hier ist der domestic airport…obwohl wir ja nach Grönland fliegen J

Am nächsten Vormittag tat ich dies dann und nach dem 11.Mal ist es fast schon wie nach Hause fliegen…

Tag 2, 14.September

Endlich in Ostgrönland angekommen, muss ich noch auf den Helikopter nach Tasiilaq warten. Viel hat sich hier verändert. Ich erinnere mich noch gut als ich hier mit einigen Einheimischen und ein paar Touristen am kleinen Flughafen gewartet habe. Nun drängen sich Touristen aus aller Herren Länder, Chinesen mit Schutzmasken…verrückte Welt.

Aber jetzt im September ist es wieder etwas besser, mehr Platz, weniger Menschen.

Leider erobern ja schon die Kreuzfahrtschiffe Ostgrönland…

Im Flugzeug von Island habe ich eine nette Sitznachbarin gehabt und wir kommen ins Gespräch. Man trifft hier immer Menschen, die interessant sind und/oder bei unserem Schlittenhundeprojekt behilflich sein können.

Lone aus Dänemark ist Lehrerin, sie ist schon 70 Jahre, hat aber ganz im Norden von Grönland als Lehrerin gearbeitet und auch in Sermiligaaq, einem der entlegenen Dörfern in Ostgrönland, gerade dort, wo Robin Hood auch den Hunden helfen will.

Lone wird wieder in Sermiligaaq arbeiten und uns helfen, Kontakte zu knüpfen. Wieder ein wunderbarer „Zufall“, dass ich gerade neben ihr sitze?

In Ostgrönland gelandet, in Kulusuk, warte ich auf den Helikopter, der mich nach Tasiilaq bringt…

Am Abend treffeich mich noch mit Lars Anker, der mit Robin Hood das Hundefutterprojekt durchführt, er bestellt nahrhaftes Futter in Dänemark und Robin Hood bezahlt die Frachtkosten, damit die Hundehalter mehr Futter für ihre Hunde kaufen können. Der Erfolg stellt sich bereits ein, in Tasiilaq sind die Hunde viel besser genährt. Bevor ich mich verabschiede erklärt mir Lars, was die blinkenden Lichter an manchen Dächern im Ort bedeuten: Sturmwarnung. Etwas beunruhigt mache ich mich auf den Weg…

Tag 3, 15.September

Sturmwarnung. Im Haus bleiben. Etwas, das mir gar nicht liegt. Ich frühstücke mit Lone und wir bleiben den Vormittag im Haus, sie erzählt mir viel aus ihrem Leben und ich von unserem Projekt. Draußen fegt der Sturm und ich denke an die Hunde…doch er ist nicht so schlimm, wie erwartet. Ich will nicht länger im Haus bleiben und wandere durch den Ort, den ich schon so gut kenne. Der Sturm ist eher nur ein starker Wind. Ich besuche die Hunde…im Flower Valley…beim großen Platz beim Supermarkt…und außerhalb des Ortes, am Hundeplatz. Morgen fahre ich nach Tinitetilaaq mit dem Boot…warm anziehen, stundenlang übers Eismeer.

Im Ort treffe ich Kinder, die spielen. Ich gehe zu einem jungen Hund, der sich freut und herumspringt. Neugierig nähern sich die Kinder…schreien, laufen vom Hund weg, treten mit den Füssen auf ihn…das übliche Spiel. Obwohl ich nicht ihre Sprache spreche, erkläre ich den Kindern, wie sie sich einem Hund nähern, wie sie ihn berühren, wie sie mit ihm sprechen. Neugierig versuchen sie es selbst, ich lobe sie, super versteht man auch hier. Der Hund wirft sich auf den Rücken und lässt sich den Bauch kraulen, die Kinder lachen…so einfach wäre das…man muss dies einfach den Kindern beibringen.

Ich besuche fast alle Hunde im Ort, viele erkenne ich nicht mehr wieder, die Lebenserwartung der Hunde ist hier nicht hoch, wer nicht mehr funktioniert, wird erschossen. Man hat Paddocks gebaut für die Welpen, das gab es früher nicht. Die Hunde schlafen an den Ketten auf Felsen. Manche haben Paletten, immer mehr haben unsere weißen Hundehütten. Auch unsere Wassercontainer finden sich dazwischen. Ich blicke um mich und realisiere, wieviel wir hier schon geschafft haben. Doch der Weg ist noch weit. In Gedanken gehe ich „nach Hause“, der Wind lässt nach, wir werden morgen wohl mit dem Boot fahren können. Die Hunde blicken mir nach, immer wieder muss ich mich umdrehen, denn sie zu verlassen, fällt mir einfach immer sehr schwer.

Tag 4, 16.September

Während ich das schreibe, sind schon mehr als 2 Monate vergangen. Zuviel war in der letzten Zeit los und anfänglich war ich einfach etwas gehandicapt und auch jetzt schmerzt die Hand.

Um 9 Uhr morgens wäre mein Boot nach Tiniteqilaaq gestartet…wäre…denn auf dem Weg dahin bin ich unglücklich gestolpert, keine Ahnung, wie es passiert ist und hatte mich mit den Händen abgestützt. Ein leises Knckkk und ein durchdringender Schmerz ließen nichts Gutes ahnen… nachdem ich mich hochgerafft hatte, Passanten wollten mich ins kleine Krankenhaus von Tasiilaq bringen, was ich ablehnte, weil ich es nicht wahrhaben wollte, dass die Hand gebrochen war. So ging ich zum Bootssteg, schälte mich umständlich aus meinen Jacken, denn ich war präpariert für eine stundenlange Fahrt übers Eismeer im offenen Boot, trat das Unheil zutage…eine große Beule am Handgelenk zeigte mir, dass es nun kein Entrinnen mehr gab. Das Röntgen (mittlerweile gibt es das schon) war eindeutig: ein komplizierter Bruch mit Luxation, das sollte innerhalb von 2 Wochen operiert werden. Heimfahren war jedoch für mich keine Option, somit bekam ich einen halben Gips, mit einem Rundum-Gips hätte ich nicht fliegen dürfen und jede Menge Schmerzmittel (10 Stück am Tag). Der Arzt war ein dänischer Unfallorthopäde und top. In Grönland sind immer Experten auf Zeit, um Behandlungen vorzunehmen. Vom Krankenhaus avisierte ich gleich die OP in Österreich und 2 Stunden später war ich am Boot übers Eismeer. Und auch am Boot war es nicht einfach. Fünf chinesische Touristen hatten die Fahrt gebucht (ich durfte gratis mit, weil ich mit dem Tourismusveranstalter Lars Anker das Futterprojekt abwickle), jeder mit sündteuren Kameras, sahen die Welt nur durch die Linse. Jeder Eisberg musste umrundet werden…es sei ihnen vergönnt, dass sie nun auch reisen dürfen. Wo sich jedoch mein Verständnis ausklinkte, war als sie unbedingt erleben wollten, wie eine Robbe erschossen wird. Und tatsächlich tauchte eine auf, unser Bootsführer schnappte sich sein Gewehr und kletterte auf das kleine Dach des Bootes…ich versuchte ruhig zu bleiben…betete, dass die Robbe abtauchen möge, versuchte mich mit der Robbe irgendwie zu verbinden, bitte tauche unter, verstecke dich für eine halbe Stunde hinter einem Eisberg, bitte…schwupps, weggetaucht, ich war erleichtert…aber der Jäger gab nicht auf, das Boot tuckerte zwischen Eisschollen dahin, da war sie wieder…Gewehr angelegt, weg…dieses Spiel ging ich weiß nicht wie lange…meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt…die chinesischen Touristen wollten unbedingt das Töten sehen…die Robbe sollte dann aufs Boot gebracht und am Abend verkostet werden. Um Missverständnisse an dieser Stelle auszuräumen: Es geht mir nicht um die Tatsache, dass diese Touristen Chinesen waren, es wäre auch mit Amerikanern, Österreichern oder Deutschen möglich gewesen. Und habe auch gelernt, die Jagd der Inuit unter einem anderen Gesichtspunkt zu sehen, auch wenn ich ein strikter Jagdgegner bin. Aber dass ein Tier sterben muss, nur weil es jemand sehen will, dafür habe ich kein Verständnis. Ergebnis? Die Robbe war weg. Ich lächelte innerlich und war glücklich. Aber noch waren wir mitten auf dem Eismeer, zauberhafte Eisschollen passierten unseren Weg, hellblaue, türkise, dunkelblaue Eisberge, groß wie Hochhäuser erweckten das Entzücken der Touristen, das klicken der Fotoapparate nahm kein Ende. Ich als „alter Hase“ nahm das schon gelassener, 11 mal Grönland, das ist wie zu Hause sein…naja…fast. Trotzdem nahm ich ein besonders schönes Exemplar mit dem Handy auf…meine Kamera auszupacken mit der gebrochenen Hand war mir zu umständlich.

Endlich, nach 5 Stunden schippern, normalerweise dauert die Bootsfahrt zwei Stunden, aber ich war ja gratis mit an Bord und durfte nicht meckern, war Tinit in Sicht. Aber leider noch nicht erreichbar. Treibeis versperrte uns den Weg zur Anlegestelle und das kleine Boot kämpfte sich wacker durch, bis es letztendlich stecken blieb. Mit einem langen Stock wurde versucht, die Schraube vom Eis zu befreien, der Motor heulte auf und ich dachte mir, das würde nicht lange gut gehen. Die Touristen saßen völlig fasziniert im Heck…bis ich eingriff und meinte, so würden wir nie loskommen, es wäre besser wir würden uns in den vorderen Teil des Bootes begeben…und so war es dann auch und wir kamen frei. Doch das Eis war ein dicker Teppich und das kleine Boot schien wie mit Beinen darüber zu klettern. Eine Scholle nach der anderen…das schaffen wir nie, war mein Gedanke. Line, die dänische Reiseführerin meinte trocken, der grönländische Bootsmann müsse das schaffen. Punkt. Das Boot neigte sich bedenklich zur Seite und ich, die ich eigentlich nicht ängstlich bin, war nun doch etwas „nervös“. Würden wir umkippen, ich konnte keinen Zentimeter schwimmen mit der gebrochenen Hand, aber bei Wassertemperaturen von etwa 3 Grad war das ohnehin keine Option…

Zuerst der Stress mit der Robbe, dann das und das alles mit frisch gebrochener Hand…endlich schafft es das Boot über diese Treibeislandschaft und wir kommen wieder auf freies Wasser und legten endlich in Tinit an. Noch eine kleine Herausforderung wartete auf mich: Das schwankende Boot zu verlassen und eine schmale, steile Holztreppe an Land waren zu bewältigen. Ein falscher Schritt und ich lande im kalten Meer. Normalerweise ist das kein Problem, aber in dieser Situation sah ich, wie sehr ich zwei Hände brauchte.

Endlich an Land. Ich ging ins Schulhaus und traf den französischen Lehrer Max, der seit über 30 Jahren in Grönland lebt und mit dem wir das Schulhundeprojekt betreiben. Und Kamilla, eine polnische Physikerin, die es ebenfalls für eine Zeitlang nach Grönland verschlagen hatte.

Bei ihr durfte ich übernachten, nachdem ich mir von Max ein Kissen und einen Schlafsack geborgt hatte und beides mit einer Hand plus Taschenlampe über den steinigen Weg von Tinit balancierte. Jetzt nur nicht stolpern und die zweite Hand brechen…

Endlich im Haus, Kamilla machte uns Tee und dann schlafen…Schmerzen, nicht wissen, wohin mit der Hand, die wie ein Fremdkörper an mir hing. Draußen die grönländische Nacht, das Heulen der Hunde, der Fjord leuchtete mit seinen bizarren Eisskulpturen. Grönland – ein Traum. Grönland – ein hartes Pflaster für Tierfreunde.

Tag 5, 17.September

Kamillas Haus ist eins der Lehrerhäuser. In den kleinen Dörfern gibt es kein Wasser in den Häusern, man muss es im Kanister holen. Auch die Toilette ist ungefähr so wie bei uns ein Plumpsklo, allerdings im Haus…es wird vom öffentlichen Dienst geleert.

Ich schlafe unterm Dach, mein Blick trifft einen Schlittenhund, der einsam an der Kette hängt. In all den Tagen habe ich niemand gesehen, der sich ihm auch nur genähert hätte. Etwas Futter, wohl Reste einer Robbe konnte ich ausmachen…

Vom Küchenfenster aus sehen wir das gleiche Drama…Hunde an Felsen angekettet, dahinter die Traumkulisse mit Eisbergen und Treibeis im Fjord.

Das Eis wechselt mit dem Licht seine Farben und spielt von hellblau, türkis bis dunkelblau alle Schattierungen.

Der Blick eines Hundes trifft mich ins Herz…täglich…

Kamilla ist in der Schule mit Lehrer Max, sie bauen ein Kinderkajak. Sie versuchen, die Traditionen aufrechtzuerhalten und den Kindern zurück zugeben. So wie wir mit unserem Schulprojekt. Schulhund Arpi, dem wir so eine Zukunft geben konnten, ist ein absolutes Novum in Grönland. Arpi ist ein ausrangierter Schlittenhund, der nun einen wertvollen Dienst vollbringt.

Ich besuche die Hunde von Tinit. Mit der gebrochenen Hand muss ich mich vorsichtig nähern, nur zu gerne springen sie an mir hoch und mit den Ketten kann das gefährlich werden, da ich einfach nicht so sicher bin wie sonst. Zu manchem setze ich mich einfach hin, rede mit ihnen, beobachte sie. Das ist mir das Liebste, einfach bei den Hunden sein, egal, zu welcher Jahreszeit. Denn im September ist es nicht mehr so warm und den Reißverschluss der Jacke mit einer Hand zu schließen, ist unmöglich, daher muss ich mir immer überlegen, Jacke zu oder Jacke auf. Auch ein offenes Schuhband bedeutet ein Hindernis, das ich alleine nicht bewältigen kann. Trotzdem klettere ich über Felsen und Steine, um möglichst alle Hunde zu finden. Das Fotografieren mit einer Hand stellt mich vor gewisse Schwierigkeiten. Doch auch das geht mit Auflegen am Gips, etwas mühsamen Fokussieren.

Dank der Schmerzmittel geht es halbwegs gut mit allem was ich den Tag über mache.

Die Hunde heulen, wenn sie mich sehen und es geht mir durch Mark und Bein. Dieses Projekt hat sich in mein Herz gebrannt und ich kann es trotz aller Widrigkeiten, die immer noch bestehen, nicht lassen. Ihre dunklen Augen, ihre dünnen Körper, sie bekommen auch bei guter Haltung sehr wenig Futter, denn sonst ziehen sie nicht am Schlitten…es ist einfach nicht vergleichbar mit unserer Hundehaltung, wo zugegeben viele unserer Hunde zu dick sind. Ich sehe bei den Fütterungen, wie hungrig sie sind…im Sommer gibt es nur alle drei Tage Futter und nicht viel. Im Winter gibt es dann täglich und mehr Futter, aber auch nur von jenen Hundehaltern, die es gut mit ihren Hunden meinen. Da man generell mehr über Kinder erreicht, kam uns die Idee mit der Schulbroschüre, Hunde brauchen Wasser, man darf keine Steine auf sie werfen, sie brauchen ein gutes Brustgeschirr usw…

Kamilla und ich arbeiten an der Schulbroschüre, die nach Fertigstellung und Druck in den Schulen verteilt werden soll. Ein österreichischer Cartoonist will uns dabei helfen, vielen Dank an dieser Stelle an Gerry Lagler!

Der Tag zieht vorüber, mit dem Wetter habe ich Glück. Es ist zwar kalt, aber sonnig und die Abende verglühen in gleißenden Sonnenuntergängen hinter dem Eis.

Tag 6, 18.September

Heute darf ich in der Schule einen Vortrag halten. Max übersetzt. Die Kinder warten gespannt. Und: Arpi, der Schulhund darf ins Klassenzimmer. Das hat es in Grönland wohl noch nie gegeben. Wir müssen sehr vorsichtig sein, der kleinste Zwischenfall würde dieses Projekt zerstören. Doch Arpi verhält sich vorbildlich, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes gemacht. Der große, schwarze Hund (Arpi bedeutet schwarzer Wal) blickt mit seinen sanften, dunklen Augen um sich, bleibt ruhig, als sich die Kinder um ihn scharren. Ich erzähle den Kindern von Rumänien, von den Streunerhunden und unserem Tierheim dort. Auf der Karte zeige ich ihnen woher ich komme und wo Rumänien ist. Nach meinem Vortrag bekommen die Kinder Robin Hood – Anstecker  und Aufkleber, das ist das Highlight für sie – wie überall auf der Welt freuen sie sich über diese kleinen Geschenke.

Arpi geht am langen Seil mit Max und den Kindern im Gänsemarsch zu seinem Platz hinter dem Dorf. Die Kinder sind neugierig, wollen alles sehen und auch immer mehr Mädchen wollen alles über die Hunde lernen. In früherer Zeit waren die Hunde reine Männersache, auch das ändert sich.

Am Nachmittag arbeiten Kamilla und ich weiter an der Broschüre. Der Held ist ein Bub, der seiner Schwerster erklärt, wie man mit Hunden umgeht, er hat es wiederum von seinem Vater gelernt. Einfache Texte, nette Zeichnungen, Bilder zum Ausmalen, das soll unsere erste Broschüre werden.

Am Abend sind wir bei Max zum Abendessen eingeladen, der einen tollen Salat für uns gemacht hat, Pasta und Gemüse (für Kamilla und ihn auch Fleisch, Vegetarismus oder gar veganes Leben sind hier kein Thema, aber es wird akzeptiert und respektiert, dass ich vegan lebe). Max hat sehr gut gekocht, Salat und Gemüse bedeuten hier Luxus, denn alles muss eingeflogen werden…sein kleines Haus ist gemütlich und man sieht, auch er liest gerne und ich hole mir ein paar Buchtipps über das Leben in der Arktis.

Tag 7, 19.September

Heute fliege ich mit dem Helikopter zurück nach Tasiilaq. Ich bringe meinen Rucksack zur Aufgabestelle in dem kleinen „Supermarkt“ – in den Dörfern ist alles an einem Ort zentriert. Ich und andere Passagiere hoffen, dass der Heli auch fliegt…denn das Wetter schlägt um. Es ist keine Seltenheit, dass man in Grönland einfach mal für Tage festsitzt. Die letzten Stunden nutze ich, um die Hunde noch einmal zu besuchen. Diese Abschiede fallen mir immer sehr schwer. Ich gehe von einem Rudel zum nächsten, quer durch das Dorf und verabschiede mich, verspreche ihnen wieder zu kommen und alles zu tun, damit es ihnen besser geht.

Mit Max habe ich besprochen, das Schulprojekt wird weitergeführt und auch Hundehüttenbestellungen werden entgegengenommen. Außerdem wollen wir Hundefutter für die Hundehalter günstiger bereitstellen, Robin Hood wird hier helfen eingreifen, damit sich mehr Besitzer das Futter leisten können.

Ich gehe zum Helikopterlandeplatz, Kamilla folgt mir auf Krücken. Aus der Ferne ist das Rattern des Bell-Hubschraubers zu hören, der sich tapfer gegen den Wind kämpft. Einer der Piloten ist aus Salzburg, das ist immer wieder der Fall, Piloten, Ärzte, Krankenschwestern kommen, um für einige Zeit in Grönland zu arbeiten. Der Pilot hilft mir den Sicherheitsgurt anzuschnallen, den mit einer Hand bin ich wieder einmal chancenlos. Ich winke Kamilla zu…der Abschied ist traurig, sie ist eine sympathische, interessante Frau, die ich aber hoffentlich in Österreich wieder treffen werde…denn sie wird sich auch von Grönland verabschieden müssen, als Polin bekam sie keine Verlängerung für ihr Arbeitsverhältnis und sie wird als Schilehrerin in meiner Heimat arbeiten. Bis sie ein neues Abenteuer findet…Grönland ist ein Landeplatz für interessante Menschen…

Der rote Hubschrauber zieht einen Kreis übers Meer und fliegt dann über Land zurück nach Tasiilaq. Von oben sieht man das graue Inlandseis, das in türkisem Wasser ins Land übergeht.

Einzigartig und atemberaubend. Ich konzentriere meine Augen auf die Felsen und hoffe, vielleicht endlich einen Eisbären zu sehen…leider wieder vergebens.

Die letzten eineinhalb Tage bin ich in einem Gästehaus von Lars Anker untergebracht. Nur eine Französin mit ihrer Tochter und ich bewohnen das Haus – Saisonende. Dorothee´ war auch in Tinit und wir hatten uns dort angefreundet. Sie lebt in Dänemark, nachdem sie lange in Island war. Hier hat jeder seine Geschichte…

Meine Hand ist so dick geschwollen und die Finger fast schwarz, dass mich Dorothee´ überredet nochmals ins Krankenhaus zu gehen. Etwas besorgt, mache ich das…doch der Arzt meint, das sei normal.

Dann habe ich nochmals Stress…zum Baustoffhändler Holz bestellen für die Hundehütten, zur Reederei, um zu klären, ob die Hundehütten auch noch in diesem Jahr von Tasiilaq nach Tinit kommen.

Und zu den Hunden.

Und zu Eli, der mit seinen jungen Leute die Hundehütten in der Multiverstädt herstellt.

Und zu Robert Peroni, der das Red House betreibt. Er ist sehr krank, aber in diesem Jahr sieht er wieder besser aus. Robert war ein Extrembergsteiger, den es nach Ostgrönland verschlagen hat, um jungen Inuit eine Chance zu geben, in seinem Gästehaus zu arbeiten. Ein interessanter Mann, der vieles erlebt hat, ich unterhalte mich sehr gerne mit ihm. Wie gesagt, in Ostgrönland werden außergewöhnliche Menschen angeschwemmt wie Treibholz.

Tag 8, 20.September

Ich treffe mich mit Natalia und ihren Hunden, doch am Weg dahin finde ich ein typisches Schlittenhundedrama. Ein junger Hund, noch nicht an der Kette, hat sich aus unerfindlichen Gründen in der Kette eines anderen Hundes verheddert. Die Kette hatte sich um seinen Bauch und seine Beine gewickelt, der Hund an der Kette, wiederum mit einer Hündin zusammengekettet, springt herum, der Kleine will weg, schreit vor Schmerz, da sich die Kette immer enger zusammenzieht. Ich stehe daneben, mit der gebrochenen Hand und kann nichts tun. Ich kann die Kette mit einer Hand nicht lösen und schon gar nicht, wenn drei Hunde daran ziehen. Umständlich nestle ich mein Telefon aus der Tasche und rufe einige Leute an, vergeblich, endlich kommt Natalia des Weges. Sie kennt den Hundebesitzer…Natalia versucht, die Kette zu lösen…endlich kommt der Besitzer, kettet den großen Hund woanders an, lässt das Weibchen laufen und kann nach einigen Schwierigkeiten den Junghund befreien…nochmals gut gegangen. Etwas später und der kleine Hund wäre wohl gestorben oder mindestens schwer verletzt geworden.

Wir gehen zu Natalias Hunden, ein kleiner, aufgeweckter Welpe von irgendwo, folgt uns. Er bringt das Rudel durcheinander und wir lachen, streicheln die Hunde, Natalia holt Wasser…sie hält ihre Hunde sehr gut, die Kette kann aber auch sie ihnen nicht ersparen. Ihre Hunde sind im Flower Valley, nahe am Fluss. Sie erzählt mir was so geschehen ist im letzten Jahr…einer ihrer Hunde ist gestorben…sie sagt, er sei vergewaltigt worden. Mein Magen krampft sich auf Nussgröße zusammen…und einmal mehr verdamme ich die menschliche Spezies.

Ich habe Natalia einen unserer Kalender mit den Schlittenhunden gebracht, für den ihre Hunde auch Modell gestanden haben…

Ich wandere weiter…zum großen Hundeplatz. Niemand ist dort…auf Egon, der sich mit mir dort treffen wollte, warte ich vergebens…ich nütze die Wartezeit mit Fotografieren, unterhalte mich mit den Hunden, es beginnt zu regnen, trotzdem bleibe ich solange wie möglich bei den Hunden. Denn morgen muss ich Abschied nehmen von Grönland, zumindest für dieses Jahr. Abschied von den Hunden, die sich wirklich in mein Herz geschlichen haben, diese pelzigen, starken Wesen, die so vieles ertragen und doch immer freundlich sind.

Den Abend verbringe ich mit Dorothee´ und Line, die für Lars arbeitet. Sie bringt schlechte Nachrichten, ein Sturm droht und unsere Flüge sind gefährdet, das würde mir noch fehlen, denn meine Hand muss dringend operiert werden, weitere Tage festzusitzen, wäre nicht gut…ich packe meinen Rucksack.

Tag 9, 21.September

Am Heliport das Warten, kommt der Helikopter oder nicht. Das hängt vom Piloten ab und vor Ort kann niemand etwas dazu sagen. Ich gehe zu den Hunden, die unweit vom Landeplatz sind. Mache die letzten Fotos und verabschiede mich…schwer wird es mir ums Herz, Tränen steigen hoch und ich versuche tapfer, sie wegzudrücken…

Das Knattern des Helikopters bringt die Gewissheit – wir fliegen.

In Kulusuk warte ich auf Air Iceland. In Reykjavik zum Busbahnhof, dort warten auf den Bus nach Keflavik. Dann 7 Stunden warten auf den Flug nach Prag. Dann zur Maschine nach Wien hetzen. Am nächsten Vormittag bin ich in Wien, meine Eltern holen mich ab und wir eilen ins Krankenhaus. OP-Vorbereitung: Röntgen, Blutabnahme usw. Schnell heim, duschen, packen fürs Krankenhaus, die Hunde knuddeln, am nächsten Tag die OP. Eine Titanplatte lässt mich zum partiellen Terminator werden. Jetzt sind die Schmerzen wirklich groß und ich bin ziemlich unfähig, den Alltag zu bewältigen. Mit 6 Hunden spazieren zu gehen, zu putzen, Brot abschneiden usw. Mit einer Hand am Laptop, das geht auch schon im Krankenhaus nach der OP. Weil die Arbeit muss getan werden. Meine Eltern sind mir eine große Hilfe, Mutter putzt, mein Stiefvater geht mit den Hunden, ein dickes Dankeschön an dieser Stelle – was wäre ich ohne sie.

Nun ist Dezember…und die Schmerzen sind noch da. Im März kommt die Platte raus. Das darf mir nicht mehr passieren. Grönland wartet und auch die anderen Projekte. Wenn mehr als Herz bricht…für Arme und Beine gibt es Titanplatten, für das Herz leider nicht.

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